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Wohllebens Welt - und wie die Forstwirtschaft damit umgehen kann

Über den Wald wurde schon immer geschrieben. Er war literarischer Raum menschlicher Dramen oder wirtschaftlicher Betrachtung. Tacitus, der römische Geschichtsschreiber, klagte über die nassen, dunklen Wälder der Germanen. Im romantischen Märchen wurde der Wald zum Schauplatz des Erwachsenwerdens und der menschlichen Bewährung. Ernst Jünger wählte in seinem „Waldgang“ den Wald als symbolischen Ort des inneren Widerstands gegen menschenverachtende Ideologien. Hinzu kommt die umfassende forstwissenschaftliche Literatur über das Anlegen, Pflegen und Nutzen von Bäumen und Wäldern. Das Schreiben vom Walde ist oft, bis heute, ein Schreiben über den Menschen und seine Bedürfnisse. Der Wald ist Kulisse – einsam, düster, zugleich behütend und bedrohlich. 

Peter Wohlleben schreibt nicht über den Wald als äußeren Ort des menschlichen Erlebens oder der wirtschaftlichen Nutzung. Er schreibt über „Das geheime Leben der Bäume“ – über deren Erleben. Der Perspektivwechsel ist radikal. Wir sind es gewohnt, die Welt aus der eigenen Binnenperspektive wahrzunehmen. Auch Ökologen schreiben über die – aus menschlicher Sicht bestimmte – Umwelt. Die Sichtweise Peter Wohllebens ist grundverschieden. Er stellt die Welt aus Sicht der Pflanzen und Tiere als Lebewesen mit einem eigenen Lebenswillen dar. In seinen Erzählungen rücken Bäume, Wildschweine und Rehe in den Mittelpunkt. Und der Mensch wird zur Umwelt – meist bedrohlich.

Neu ist diese Perspektive auf die Umwelt übrigens nicht. Die Frage, wie der Mensch zu einem Bild von seiner Umwelt gelangt, war und ist Gegenstand philosophischer Auseinandersetzung. Der für die europäische Philosophie der Aufklärung typischen Trennung von Subjekt Mensch und einer objektiven Umwelt wurden früh Gegenkonzepte entgegengehalten. Berühmt ist die Frage Friedrich Wilhelm Joseph v. Schellings, mit der er 1797 seine „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ einleitete: „Was ist denn nun jenes geheime Band, das unseren Geist mit der Natur verknüpft?“. Die Antwort fand er in der Rückführung der Umwelterkenntnis in das Umwelterlebnis. Hieran knüpft Peter Wohlleben an, wenn er etwa in seinem Buch „Das geheime Band zwischen Mensch und Natur“ (2019) dem Menschen einen sechsten Sinn des Naturerlebens zuschreibt: „Der sechste Sinn darf also im Wortsinne als körperlich vorhanden gelten, und in Bezug auf die Natur ist er ebenfalls noch vollständig intakt.“

In einer Zeit, in der weltweit Gesellschaften sich selbst zunehmend als Ursache von Klimawandel und Artensterben wahrnehmen, trifft Peter Wohlleben mit dieser integrativen Perspektive einen empfindlichen Nerv. Peter Wohllebens Bücher sind erfolgreich, weil sie erzählerisch aus Sicht von Pflanzen und Tieren das schlechte Gewissen vieler Menschen bestätigen und entlasten.

Gewissensreinigung durch Waldschutz. Für Forstwirtschaft ist da nur wenig Platz.

Vom Eigenleben der Bäume – der Wald ohne Menschen

Aber was schreibt Peter Wohlleben eigentlich genau? Welche Vorstellung vom Wald pflegt er und wie stellt er sich vor, sollte in Deutschland mit Wäldern umgegangen werden?

Als er anfing zu schreiben, war Peter Wohlleben noch Beamter des Landes Rheinland-Pfalz und praktizierender Förster. Seine frühen Bücher spiegeln diese Tätigkeit wieder. Unter den zehn bis 2015 erschienenen Werken stehen Titel wie: „Der eigene Wald: Privatwald optimal bewirtschaften“ (2010) oder „Mein Wald: nachhaltig, sanft, wirtschaftlich“ (2013). Der Erfolg kam aber erst 2015 mit dem Buch, das heute wie kein anderes für die Weltsicht Peter Wohllebens steht: „Das geheime Leben der Bäume“. Es hat ihm den Durchbruch und viel Kritik gebracht.

Peter Wohlleben beschreibt darin das Ökosystem Wald aus der Sicht der Bäume, nicht des Menschen. Dabei lässt er das „lyrische Ich“ aus der menschlichen Subjektstellung in die objektive Umwelt zerfließen, nimmt mithin die Sicht einer Art „Baumbewusstseins“ ein. Das ist ein geschickter Kunstgriff, um ganz nebenbei den Leser in die Position des Baumes zu versetzen. Es reicht, um Empathie zu erzeugen. Was Peter Wohlleben sonst ausführt, die zahlreichen naturwissenschaftlich dargestellten, teils sehr umstrittenen Thesen zu Bäumen und Wäldern, braucht es kaum mehr, um die Wirkung zu tragen. Es reicht die Erzählperspektive, die auch mit dem anderen Naturwissenschaftsverständnis der Forstwirtschaft funktionieren würde. Erzähltechnisch, aus Sicht eines Baumes, spielt es nämlich keine Rolle, ob er auf Grundlage richtiger oder falscher naturwissenschaftlicher Prämissen gefällt wird. Die Fällung ist sein Tod. Und aus Perspektive des Baumes leidet der Leser mit.

Die Kraft Peter Wohllebens liegt in der Kraft seines Narrativs. Einem starken Narrativ lässt sich nicht mit Tatsachen begegnen, weil ein Narrativ lediglich ein Ordnungsmuster für Tatsachen ist. Peter Wohlleben teilt in weiten Strecken seiner Bücher anerkanntes Forstwissen. Aber er bereitet es anders auf, eben nicht aus Sicht des Menschen, sondern aus Sicht der Bäume. Damit muss die Forstwirtschaft umgehen lernen: konstruktiv, indem sie ihre eigene Geschichte erzählt.

Forstwirtschaft – der Mensch gestaltet den Wald

Und die Forstwirtschaft hat so viel zu erzählen, nämlich die Geschichte von Menschen und Bäumen, von ihrem Zusammenleben und wechselseitigen Nutzen. Die Geschichte der Waldwirtschaft ist spannend. Und spannender noch ist die Frage nach ihrer Zukunft.

Die Geschichte der Forstwirtschaft ist eine Geschichte vergangener menschlicher Arbeit, geleistet oft von Generationen, die schon lange nicht mehr leben. Seit der Auskeimung der Samen von heute erntereifen Beständen haben Generationen von Menschen Arbeit und Mühe investiert. Sie haben schwache Bäume identifiziert, markiert und entnommen, um im übrigen Bestand gerade, starke Stämme zu erzeugen. Es gab Eigentümerwechsel an den Flächen, Rückschläge durch Hitze, Nässe, Stürme, Schnee und Insekten, Naturerlebnisse, Wildbeobachtungen, Jagderfolge, vielleicht auch Unfälle. Kaisereichen erinnern an untergegangene Herrschaftssysteme, alte Mischwälder an frühe Versuche naturnaher Waldbewirtschaftung – oft getragen von anthroposophischen Gedanken der Wende zum 20. Jahrhundert, wie sie sich etwa bis heute in den Grundsätzen der „Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft“ niedergeschlagen haben. Nadelholzkulturen erinnern an die Kriege und Notzeiten, alte Aufforstungsflächen an den sauren Regen der Mitte des 20. Jahrhunderts, neue Aufforstungsflächen an die Wetterextreme des Klimawandels. Persönliche Geschichten und die Vergangenheit einer Gesellschaft sind dem Wald eingeschrieben.

Aus diesem Verständnis von Mensch und Umwelt erscheint der Mensch als Gestalter. Seine Arbeit hat einen Wert. Unerwünschte nachteilige Nebenfolgen erscheinen durch den menschlichen Nutzen gerechtfertigt. Demgegenüber rückt in Peter Wohllebens Umweltverständnis der Mensch in die Rolle eines Störenfrieds, der seine eigenen Bedürfnisse durchsetzt und seine Mitwelt übervorteilt. Darum landet Peter Wohlleben im Ergebnis seiner Bücher immer wieder bei der Forderung nach der Minimalnutzung oder Stilllegung von Wäldern. Seine Antwort auf die Verwerfungen des Ökosystems, die vom Menschen verursacht wurden, ist die Vertreibung des Menschen aus dem Ökosystem.

Diesem Narrativ kann gerade die Forstwirtschaft ihren eigenen Ansatz zur Seite stellen: Das Konzept der Nachhaltigkeit, das daraus lebt, dass der Mensch die Folgen seines Handelns erkennen und steuern kann. Nachhaltigkeit im forstwirtschaftlichen Sinne bedeutet, dem Wald nicht mehr Holz zu entnehmen, als nachwächst.

Welchen Wald will unsere Gesellschaft haben?

Politik gestaltet die Welt für den Menschen. Dem Peter Wohllebenschen Narrativ einer Erzählung selbstgenügsamer Bäume weitgehend ohne menschliche Nutzung kann sie nicht folgen. Sie braucht ein Positivbild von der Zukunft des Waldes, das den Menschen und seine Bedürfnisse einschließt.

Peter Wohllebens Leistung besteht darin, in grundsätzlicher Weise den menschlichen Blick auf die Umwelt hinterfragt zu haben. Er hat mit seinen Büchern einen Weg gefunden, Menschen für ihre Umwelt und vor allem für den Wald zu begeistern. Aber der Preis für diese Kommunikation ist hoch. Seine Texte funktionieren, weil sie Identifikation ermöglichen und den Wald auf sich selbst reduzieren. Fragen der Bewirtschaftung, etwa zur Eigentümerstruktur am Wald, zu den unterschiedlichen Formen der Waldwirtschaft und zum Holzbedarf der Gesellschaft, würden diese Kommunikationswirkung aufheben. Sie bleiben deshalb überwiegend ausgeklammert. Es ist die große Chance der Forstwirtschaft, das Weltbild Peter Wohllebens um das nicht nur partikulare, sondern vollständige Bild der nachhaltigen Waldwirtschaft anzureichern, das Mensch und Baum zusammenführt.

Jede Zeit und jede Gesellschaft hat ihren eigenen Wald hervorgebracht. Unsere Welt heute sieht sich den Wirkungen des Klimawandels ausgesetzt, den es zu bremsen gilt und an dessen Wetterextreme sich vor allem die Forstwirtschaft anpassen muss. Der Forstwirtschaft kommt hier eine doppelte Rolle zu: Sie kann mit ihren Wäldern zur Speicherung von CO2 beitragen und dieses langfristig in Holzprodukten binden helfen. Zugleich ist gerade der Wald sehr anfällig für die Folgen des Klimawandels: Zunehmende Trockenheit, heißere Sommer und stärkerer Schädlingsdruck setzen ihm zu. Der Gedanke der Nachhaltigkeit, der sich lange auf die Formel „Nicht mehr entnehmen, als nachwächst“ beschränkte, ist weiter gültig. Er bedarf aber der Anpassung an das 21. Jahrhundert:

•    Soziale Nachhaltigkeit: Es darf nie aus den Augen geraten, dass der gesamte deutsche Wald im Eigentum entweder staatlicher oder privater Personen steht, die überhaupt nur durch die Entnahmen in die Lage versetzt werden, ihren Wald zu pflegen. Die Bewirtschaftung des Waldes mit den angeschlossenen Branchen der Holz- und Papierwirtschaft trägt etwa 1,1 Million Arbeitsplätze (Quelle: Thuenen-Institut). Der Wald versorgt Menschen und Familien mit einem regelmäßigen Einkommen. Wo Entnahme unterbleibt, wird staatlichen wie privaten Waldbesitzern die Möglichkeit genommen, die Mittel einzunehmen, die es Ihnen erlauben, Wald – etwa auch auf Kalamitätsflächen – neu anzupflanzen und menschliche oder natürliche Verjüngung zu sichern. Erst diese Arbeit eröffnet der Gesellschaft die verkehrssichere und im Übrigen kostenfreie Waldnutzung. Sie schafft wertvolle Ökosystemleistungen für Klima, Artenschutz, Umweltmedien und Erholung.


•    Klimatische Nachhaltigkeit: Die Notwendigkeit einer Begrenzung des Klimawandels verlangt neben der effektiven Reduktion der CO2-Emissionen auch den Ausbau der Kohlenstoffsenken. Der Wald bietet erhebliches Speicherpotential. Anders als im klassischen Nachhaltigkeitssatz geht es hier darum, nicht nur nicht mehr zu entnehmen, als nachwächst, sondern auch nach Wegen zu suchen, etwa durch Neuaufforstungen oder längere Umtriebszeiten, die Speicherleistung des Wirtschaftswaldes zu erhöhen. Denn den Wirtschaftswald braucht es für die dauerhafte CO2-Bindung. Er allein bindet im wachsenden und stehenden Holz CO2 ebenso wie im entnommenen und verarbeiteten Holz, sofern dieses nur – und das ist Aufgabe der Politik – einer Langzeitnutzung zugeführt wird. So wird CO2 auch in Gebäuden und Möbeln gebunden. Indirekt trägt der Wald so durch die Substitution von Beton, Metall, Kunststoff und Glas sogar noch erheblich zur CO2-Emissionssenkung bei.


•    Biodiversitätsnachhaltigkeit: Der Wirtschaftswald ist Lebensraum. Stillgelegte Wälder zeigen eine gleichmäßige Entwicklung hin zu dichten, dunklen Laubwäldern. Es handelt sich um einen Lebensraumtyp, der einer begrenzten Zahl von Arten Heimat bietet. Demgegenüber gleicht kein Wirtschaftswald dem anderen. Jeder staatliche oder private Waldbesitzer wirtschaftet ein wenig anders: Die Baumarten, die Dichte, die Feuchtigkeit, das Licht, der Bodenbewuchs – auf kleinen Flächen bietet der Wirtschaftswald große Unterschiede. Und damit zahlreiche Habitate für viele unterschiedliche Lebewesen.


•    Ästhetische Nachhaltigkeit: Holz besitzt einen ästhetischen Eigenwert, der kaum einem anderen Material zukommt. In einer Welt des Betonbaus, des Funktionsmobiliars und der Elektronik erden Holzprodukte den Menschen. Ein Holzhaus ist gemütlich. Ein Holzfussboden ist immer warm. Ein Bauernschrank ist solide. Holz als Material ist in seiner ursprünglichen Qualität intuitiv erfassbar und erfahrbar. Es tut dem Menschen gut.
 
Es liegt im eigenen Interesse der Forstwirtschaft, offen zu kommunizieren, dass sie in einer veränderten Welt heute nebeneinander Klima- und Artenschutz sowie Holz produzieren kann. Die Gesellschaft muss dann aber auch antworten, welchen Preis sie für diese Ökosystemleistungen und Rohstoffgüter zu zahlen bereit ist. Soviel Ehrlichkeit hat die Forstwirtschaft verdient.

Autor: Alexander Ionis, stellvertretender Geschäftsführer Familienbetriebe Land und Forst