Skip to main content

"Durch die Pandemie wissen jetzt alle: volle Regale sind keine Selbstverständlichkeit"

Foto: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

Wir haben mit der stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Gitta Connemann MdB (CDU) unter anderem über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Landwirtschaft, die Zukunft der GAP und die starken Stimmenverluste der CDU in der ländlichen Region bei den vergangenen Landtagswahlen gesprochen.

 

Wie geht es Ihnen, und wie arbeitet eine Bundestagsabgeordnete eigentlich in Corona-Zeiten?

Mir geht es persönlich gut. Meine Familie und ich sind gesund. Und ich bin nicht in Kurzarbeit, im Gegenteil. Mit dem Lockdown wurde zwar das öffentliche Leben heruntergefahren. Wir waren dagegen stärker gefordert als vorher. Gesetze und Hilfspakete mussten unter größtem Zeitdruck beraten und verabschiedet werden. Man kann hier schon von „Ochsentour“ reden. Alles dies geschah mit neuen Mitteln und Formaten. Telefon- und Videokonferenzen ersetzen Gremien- und Ausschusssitzungen, Anhörungen und Fach- sowie Arbeitsgespräche. Heimarbeit ist angesagt. Normalerweise sind Abgeordnete ständig unterwegs. Jetzt arbeite ich natürlich ausschließlich von zu Hause aus. Manche Termine mussten abgesagt werden. Dafür hat sich die Anzahl der Telefonate, Emails vervielfacht. Besprechungen finden jetzt als Telefon- oder Videokonferenzen statt. Das verändert die Arbeit und das Miteinander. Konferenzen mit mehreren Teilnehmern erfordern mehr Gesprächsdisziplin. Häufig sieht man ja den Gesprächspartner, seine Gestik und Mimik nicht. Ich bin begeistert, was alles geht. Wir sind handlungsfähig. Es zeigt sich, welche Vorteile die Digitalisierung mit sich bringt. Wir können auch am Küchentisch weiterarbeiten - und das ist gut und wichtig. Allerdings fehlen mir die persönlichen Begegnungen mit den Menschen. Diese sind das Schönste an meinem Beruf. Aber glücklicherweise gibt es noch Telefon, Skype, Video und Co. So bleiben wir beieinander.

 

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Landwirtschaftspolitik in Deutschland und Europa?

Durch die Pandemie wissen jetzt alle: volle Regale sind keine Selbstverständlichkeit. Es wurde deutlich, wie sehr die Versorgung mit Lebensmitteln bei uns von internationalen Lieferketten abhängt. Zwar haben wir bei einigen Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln oder Milch noch einen Selbstversorgungsgrad von mehr als 100 Prozent. Bei anderen Lebensmitteln wie z.B. Ölen, Fetten, Obst und Gemüse ist dies aber nicht der Fall. Ohne Importe kann der Bedarf nicht gedeckt werden. Unsere einheimische Land- und Ernährungswirtschaft muss wieder eine höhere Priorität bekommen. Auch rechtlich. Das schaffen wir, in dem wir die Ernährungssicherung im Grundgesetz als Staatsziel festschreiben. Dies ist Beschlusslage der CDU seit ihrem letzten Bundesparteitag – schon vor der Krise. Denn Fakt ist: Deutschland braucht eine noch höhere nationale Selbstversorgung mit Lebensmitteln. Deshalb ist für mich auch klar: die Ernährungssicherung und -souveränität in der Europäischen Union muss oberstes Ziel einer europäischen Landwirtschaftspolitik sein. Daher sind auch die Vorschläge für die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik auf den Prüfstand zu stellen.

 

Wie sieht die Landwirtschaft Ihrer Meinung nach in Deutschland in 15 Jahren aus? Welche Trends zeichnen sich aktuell ab?
Prognosen sind immer schwierig. Dies gilt gerade für Land- und Ernährungswirtschaft. Es gibt diese seit Menschengedenken. Sie hat sich stets weiterentwickelt. Allerdings gibt es wohl keine andere Branche, die so im Fokus der Öffentlichkeit steht. Und leider entfremden sich Verbraucher, Kirchen und Medien von der Landwirtschaft. Manchmal aus Unwissenheit, manchmal sehr bewusst. Einige politische Gruppierungen und NGOs verstärken dies. Denn Skandalisierung nutzt im Wettbewerb um Wählerstimmen und Spenden. Die Landwirtschaft sei für das Artensterben, die „katastrophale“ Lage der Natur, eine schlechte Wasserqualität usw. verantwortlich. Das ist leider nicht nur eine Litanei von mächtigen NGOs, sondern leider machen sich auch staatliche Einrichtungen wie das Bundesumweltministerium (BMU) und seine nachgelagerten Behörden diese zu eigen. Landwirte werden zum Sündenbock gemacht. Dabei erfüllen unsere Betriebe in Deutschland die höchsten Erzeugungsstandards – in der Tierhaltung und in der pflanzlichen Produktion. Um die fachliche Weiterentwicklung ist mir deshalb nicht bange. Aber wir brauchen einen Gesellschaftsvertrag. Damit diese Weiterentwicklung im Einklang mit Bäuerinnen und Bauern gestaltet wird und nicht gegen sie. Dafür trete ich ein.


Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Zukunft der GAP? Was muss die neue GAP leisten?
Die Zukunft der GAP hängt maßgeblich davon ab, wie ehrlich wir künftig zur Landwirtschaft in Deutschland und Europa stehen. Green Deal, Farm-to-Fork-Strategie, Biodiversitätsstrategie und die vorliegenden Vorschläge zur Reform der GAP fokussieren ausschließlich die politische Komponente Ökologie. Ohne Frage: ökologischer Landbau ist wichtig. Aber am Ende entscheiden Betriebe über die für sie richtige Bewirtschaftungsform. Und dafür ist auch entscheidend, wie sich der Markt darstellt. Öko lässt sich nicht verordnen. Eine Agrarpolitik ist also nur dann ausgewogen, wenn Ökologie, Ökonomie und soziale Komponente im Gleichgewicht stehen. Die vorliegenden Vorschläge werden diesem Anspruch aus meiner Sicht nicht gerecht. Wir sollten daher den Vorschlag, die bestehende GAP bis einschließlich 2027 zu verlängern, ernsthaft in Erwägung ziehen. Anpassungen beim Greening und bei der Umschichtung können wir national auf den Weg bringen. Damit würden wir die ökologische Komponente in der GAP stärken. Das Grundgerüst zur Sicherstellung einer sozial verträglichen und ökonomischen Landwirtschaftspolitik würden wir aber unverändert fortführen können. Das bringt Stabilität und Planungssicherheit für die rund zehn Millionen Betriebe in der Europäischen Union. Wir würden damit auch die Erzeugung gesunder, sicherer und nachhaltig erzeugter, regionaler Lebensmittel absichern.

 

Wir haben die Sorge, dass Landwirtschaft zunehmend über Ordnungsrecht und Förderungen gesteuert wird. Müsste eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft nicht vielmehr Markt- und Anreizmechanismen entwickeln?
Ja. Sie sprechen mir aus dem Herzen. Den ordnungsrechtlichen Weg wollen große Teile unseres Koalitionspartners, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke beschreiten. Für mich ist dies der falsche Weg. Jede Auflage beschleunigt den Strukturwandel. Ein national überhöhtes Ordnungsrecht führt am Ende dazu, dass die Betriebe die Bewirtschaftung einstellen. Die Erzeugung wandert ab: zum Teil ins benachbarte EU-Ausland, zum Teil aber auch in Drittstaaten. Dort haben wir als Gesetzgeber aber keinen Einfluss auf die Erzeugungsbedingungen. Die Produkte kommen allerdings bei uns auf den Tisch. Wir haben dann hier eine vermeintliche Bilderbuchlandschaft und die bittere Realität kommt aus dem Ausland. Beispiel gefällig? Aktuell wurden spanische Wassermelonen zurückgerufen, auf denen Rückstände des hochgiftigen Pflanzenschutzmittels Oxamyl nachgewiesen worden waren. Bei uns ist der Einsatz des Mittel Oxamyl schon seit rund 30 Jahre verboten. Das ist richtig und gut so. Aber was nützt das nationale Verbot, wenn in den Ländern, aus denen wir Lebensmittel importieren, diese Mittel weiter zulässig sind?

 

Was erwarten Sie von der Zukunftskommission, die das Bundeskanzleramt ins Leben gerufen hat?
Die Zukunftskommission hat eine klare Aufgabe: sie soll ein gesellschaftliches Leitbild für die Landwirtschaft in Deutschland und den Umsetzungspfad dazu entwickeln. Eine bäuerlich getragene Land- und Ernährungswirtschaft in Deutschland braucht gesellschaftliche Akzeptanz und Vertrauen. Der Rahmen muss klar sein und den erforderlichen Handlungsfreiraum bieten, damit Betriebe wirtschaftlich arbeiten können. Wenn politische Mitbewerber dauernd das Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft bemühen, aber beispielsweise Kompromisse zur schrittweisen Verbesserung des Tierschutzes in der Sauenhaltung blockieren, dann gefährden diese Kräfte bäuerliche Strukturen. Es braucht von diesen Stellen dann die Ehrlichkeit zu sagen, dass man in Deutschland von den Landwirten keine wirtschaftliche Lebensmittelerzeugung wünscht und nur noch landschaftspflegerische Leistungen erwartet. Zu bedenken gilt nur: von einer schönen, aber weltfremden Ideologie allein wird kein Betrieb überleben können.

 

Welchen Umgang mit der Landwirtschaft und die Forstwirtschaft als CO2-Senke im Bereich Klimaschutz schlagen Sie vor? Müssen Land- und Forstwirtschaft perspektivisch in den Emissionshandel oder in die CO2-Bepreisung?
Bisher sind Land- und Forstwirtschaft weder im europäischen Emissionshandel noch in der nationalen CO2-Bepreisung berücksichtigt. Denn es sind derzeit noch viele Fragen offen. Ein Beispiel: Wald kann grundsätzlich als CO2-Senke bezeichnet werden. Was ist aber im Falle von Kalamitäten, z.B. des Borkenkäfers. Die Bäume sterben ab und binden kein CO2 mehr. Ist diese Fläche noch eine CO2-Senke? Noch drastischer wird es im Falle von Sturmflächen oder ausgehend von infolge Dürren brachliegender Waldflächen. Muss für diese Flächen dann ein Zertifikat gekauft oder eine CO2-Abgabe gezahlt werden? Wie gehen wir mit dem ganzen Bereich der Tierhaltung um? Verstehen Sie mich nicht falsch. Die CO2-Bindungsleistung des Land- und Forstsektors ist enorm und verdient unsere vollste Anerkennung. Deshalb haben wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch jetzt eine Flächenprämie auf die Agenda gesetzt. Unsere Initiative wurde vom Koalitionsausschuss aufgegriffen. Aber ob die beste Form der Anerkennung der Klimaleistung der Land- und Forstwirtschaft die Einbindung in den Emissionshandel bzw. in das CO2-Bepreisungssystem ist, ist für mich derzeit noch nicht abschließend geklärt.

 

Die Forstpolitik ist im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und innerhalb der Fraktionen in den AG „Landwirtschaft und Ernährung“ zu Hause. Hand aufs Herz: Welche Rolle spielt die Forstpolitik eigentlich?
Eine unverzichtbare. Seit dem Dürrejahr 2018 sind die Wälder ins Zentrum unserer politischen Arbeit gerückt. Über die GAK stellen wir insgesamt rund 800 Millionen Euro zur Verfügung, um die Wälder nach den Dürrejahren, enormen Borkenkäfervorkommen, Waldbränden und Sturmkalamitäten zu stabilisieren und wieder aufzubauen. Im jüngsten Konjunkturpaket haben wir ein weiteres starkes Signal an den Forstsektor gesandt. 700 Millionen Euro stellen wir 2020 und 2021 zusätzlich zur Verfügung. Davon sollen rund 500 Millionen Euro als unmittelbare Aufbau- bzw. Liquiditätshilfe in den Privat- und Kommunalwald fließen. Um Flächen zu räumen, anzupflanzen und Anpflanzungen zu pflegen. Der Wald ist unsere grüne Lunge. Diese müssen wir gesund halten. Dafür treten die Unionsfraktion und ich im Deutschen Bundestag ein.

 

Bei den Landtagswahlen 2019 hat die CDU viele Stimmen im ländlichen Raum verloren. Welche Rolle spielen ländlicher Raum bzw. Land- und Forstwirtschaft noch in der Volkspartei CDU?
Das stimmt leider. Das bedaure ich als Bauern- und Landkind. Jeden Tag erlebe ich, welche riesige gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung sie haben. Dort ist der Mittelstand zu Hause, das Ehrenamt uvm. Hier sind das Rückgrat und das Herz Deutschlands. Aber es gibt eben auch ländliche Räume, die von Arbeitslosigkeit und Abwanderung betroffen sind. Und leider erhalten wir in allen Regionen nicht die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die verdient wäre. Da fühlen sich Menschen abgehängt. Und das schlägt sich dann bei Wahlen nieder. Deshalb hat die Bundesregierung eine Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse eingesetzt. Nicht jede ist überzeugend. Das gilt z.B. für die empfohlene inhaltliche Ausweitung der GAK. Wenn damit nicht ein Mittelaufwuchs verbunden ist, ginge dies zu Lasten der Agrarstruktur. Und das lehne ich ab. Aber die anderen Kommissionsempfehlungen müssen jetzt mit Leben erfüllt werden.

Wie wichtig das Land nämlich ist, hat sich aktuell gezeigt. Viele Bürgerinnen und Bürger kehrten zu ihren Familien aufs Land zurück – Studenten, Arbeitspendler usw. Die dünnere Besiedlung gibt eher die Sicherheit, sich nicht unmittelbar mit dem Virus zu infizieren. Bei vielen hat sich der Blick auf die ländlichen Regionen nun deutlich verändert. Und: wir müssen die Chancen der Digitalisierung und Vernetzung stärker nutzen. Was spricht dagegen, dass das coronabedingt verstärkte Arbeiten von zu Hause in Zukunft deutlich stärker genutzt wird? Nicht nur Leben, sondern künftig verstärkt auch von zu Hause im ländlichen Raum über die neuen Technologien auch arbeiten. Viele Probleme ließen sich lösen: die Staus auf den Zubringerrouten zu den Städten nehmen ab, die Luftqualität verbessert sich, da weniger Autos in die Städte einpendeln, weniger Wohnraum in den Städten wird erforderlich, weniger Autostellflächen, weniger Büroräume müssen gebaut werden usw..

 

Letzte Frage: Was erwarten Sie von uns „grünen“ Verbänden? Was für Tipps möchten Sie uns geben?
Entgegen den selbsternannten grünen NGOs sind Sie die echten „Grünen“. Sie leben und arbeiten in und mit der Natur. Seit Generationen, nachhaltig. Tragen Sie dies selbstbewusster in die Gesellschaft hinein. Nicht derjenige, der am lautesten über Natur und Umwelt spricht, ist ein Bewahrer und Förderer der Schöpfung sondern der, der tagtäglich in und mit der Schöpfung arbeitet und lebt.

 

— Das Interview führte Juliane Ahrens für das land 2.20 (Juli 2020)

 

Interview als PDF-Dokument